Eine Bärennachlese

Berlinale vorbei. Ein wenig auch Erleichterung, denn für wie lange kann man unter Licht - und Schlafentzug ein für die Umwelt vorzeigbares Gesicht wahren? Wie diese Berlinale war, darüber gibt es kein allgemeingültiges Urteil. Es hängt einfach zu sehr an den Filmen, die man unter den 400 gesehen hat. Jeder hat so seine eigene Berlinale gehabt. Christian hat sich z.B. während der Preisverleihung fast bis zum Schluss geärgert, er habe keinen der auserwählten Filme gesehen...und er hat schon viel geschaut. Zum Schluss hat er aber doch zwei prämierte Filme gesehen.

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Jafar Panahi

Einer davon war “Offside”, der iranische “Fussballfilm”. “Offside” wurde sowohl von Chistian und Tiziana als auch von Rene sehr gelobt. Er steht für die Filme des Festivals, die um der Zensur zu entgehen, Kritik auf subtile Art und Weise ausdrücken und so zu einer eigenen Filmsprache finden. Ein anderes Beispiel hierfür war “Little Red Flowers”, der als Panorama Film aber für einen Bären nicht in Frage kam.

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Jasmila Žbanić

Bei dem Hauptpreis, dem goldenen Bären, hat sich eine Geschichte von 2005 wiederholt. Wie bei “U-Carmen” 2005 haben die wenigstens Kritiker damit gerechnet, dass “Grbavica” von Jasmila Žbanić gewinnt. An der Stille im CinemaxX 3, wo die Preisverleihung für die Presse übertragen wurde, merkte man, dass viele diesen Film gar nicht gesehen hatten. Außerdem war mir aufgefallen, dass im Gegensatz zu allen anderen Filmen es für “Grbavica” auch noch einen Tag vor der Vorführung Karten gab. Die Zurückhaltung von Publikum und Presse lag im Thema begründet. Es ist keines, über das auch hierzulande gerne gesprochen wird und mit dem sich nur wenige in ihrer Freizeit beschäftigen wollen. Der Film gezählt die Geschichte von Esma und ihrer 12-jährigen Tochter. Als die Tochter beginnt über ihren unbekannten Vater nachzuforschen, stellt sich heraus, dass ihre Geburt Folge einer Vergewaltigung im bosnisch- serbischen Krieg war. Allein weil sich der Film mit einem wichtigen, aber aus der öffentlichen Diskussion verbannten Thema beschäftigt, ist es gut das “” einen Bären bekommen hat. Aber auch von der Umsetzung ist “Grbavica” nach Meinung von Blog Kollegin Tiziana “ein stimmiger, stringent erzählter Wettbewerbsbeitrag”.

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Pernille Fischer Christensen mit Produzent Lars Bredo Rahbek

Die zweite Überraschung war “En Soap”. Der bekam nicht nur den Preis für das beste Erstlingswerk, sondern auch noch einen Silbernen Bären in Form des Großen Preis der Jury. “En Soap” ist ein sehr gelungenes Kammerspiel um die Liebe zwischen der abgeklärten, selbstbewussten Charlotte und dem Transexuellen Veronica, der auf seine Geschlechtsumwandlung wartet. In diesem kleinen Low Budget Film der Regisseurin Pernille Fischer Christensen überzeugte mich besonders die darstellerische Leistung von Trine Dyrholm sowie die geschickte Verbindung von Drama und eingeschnittenen “Soap” Elementen.

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Moritz Bleibtreu

Low Budget war sicherlich nicht “Elementarteilchen”, an denen sich die Geister schieden. Die Lager ließen sich genau teilen. Auf der einen Seite, diejenigen, die Houellebecqs Roman gelesen hatten. Sie mochten zwar auch das Buch nicht, lehnten aber wie Elvi die weichgespülte Umsetzung des Romans als inkonsequent ab. Auf der anderen Seite, diejenigen, die das Glück hatten sich nicht durch den Roman gequält zu haben. Sie hielten die Röhler Fassung für einen gut gemachten Kinofilm. Beide Seiten hoben die schauspielerische Leistung der Darsteller hervor. So scheint der Silberne Bär für Moritz Bleibtreu nicht nur eine Zugeständnis an das deutsche Publikum.

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Sandra Hüller war nicht nur aus meiner und Tizianas Sicht ein heißer Anwärter auf den Silbernen Bären für die beste Darstellerin. Obwohl Hüller als Favorit gehandelt wurde, schien sie bei der Preisverleihung doch überrascht und sprachlos. Sie ist, wie ich von Conny erfuhr, genau wie die Vorjahressiegerin Julia Jentsch Absolventin der Ernst-Busch-Schule und hat derzeit ein Engagement an dem Theater in Basel. Die Rolle der Michaela Klingler ist ihre erste große Kinorolle. Leider ging der Film “Requiem” sonst leer aus. Auch er hätte einen goldenen Bären verdient.

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Mit Jürgen Vogel war das deutsche Bärentrio dann perfekt. Er bekam den Bären für seine Arbeit als Produzent, Darsteller und Co-Autor in der “Der freie Wille”. Wie “Grbavica” beschäftigt sich “Der freie Wille” mit dem Thema Vergewaltigung. Diesmal allerdings nicht aus der Sicht Opfer sondern der Täter. Die fast drei Stunden Film wurden von vielen als Zumutung empfunden. Ob es an der Umsetzung oder dem schwierigen Thema sei dahingestellt. Noch am Samstag morgen jedenfalls hatte der Film noch immer keinen deutschen Verleih gefunden.

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Michael Winterbottom und Matt Whitecross

Ein “brisantes” Thema zu dem sich nicht nur Dieter Kosselik sondern auch Presse und Öffentlichkeit gerne entrüstet sind die Guantanamo Lager. Danke USA also, wir können wieder politisch sein. So sehr ich Michael Winterbottom schätze, so gut “The Road Guantanamo” auch gemacht ist und ich ihm den Bären gönne, werde ich das Gefühl nicht los, es war eine durchweg politische Entscheidung. Sicher ist es gut die Aufmerksamkeit auf die Menschenrechtsverletzungen in Guantanmo zu richten. Aber mir kommt die ganze Protesthaltung doch etwas falsch vor, da die Empörung auch darin begründet liegt, dass die USA für “eigentlich” zivilisiert gehalten wird im Gegensatz zu vielen anderen Staaten, wo Menschrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind.

Als der Preisträger für Filmmusik Peter Kam gefragt wurde, was er für musikalische Einflüsse in seinem Leben gehabt hat, sagte er spontan “canton pop music”. Wenn er dies in Isabella stärker zum Tragen gebracht hätte...for sure...er hätte keinen Bären bekommen. Conny, die Isabella gesehen hatte, fand die Tangomusik jedenfalls ein wenig nervig und aufgesetzt, eine billige Wong Kar Wai Kopie. Ich glaube, dass die Musik deshalb so hervorgehoben wird, weil sie dem “westlichen” Zuschauer einen emotionalen Zugang zu asiatischen Filmen verschafft.

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Rodrigo Moreno

Blog Autor Dominik wollte sich eigentlich “El Custodio” von Rodrigo Moreno anschauen. Er war auch schon in der Vorstellung. Aber anders als die Jury fand er um 22.30 im International die Langsamkeit des Filmes nicht innovativ sondern sehr ermüdend. Er verließ vorzeitig das Kino, um zu Hause bequemer weiterzuschlafen.

Es war ein gutes, (fast) skandalfreies Berlinale Jahr. Auch dieses Jahr ist wieder, Dieter Kosslik sei dank, das internationale Interesse am Festival gestiegen. Solange auch weiterhin kleine und unbequeme Filme davon profitieren, ist dies eine Entwicklung, der man erfreut und gespannt zusehen kann.

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