Wettbewerb: Paradise now von Hany Abu-Assad

Niederlande, Frankreich, Deutschland 2005 Regie: Hany Abu-Assad * Darsteller: Kais Nashef, Ali Suliman, Lubna Azabal, Amer Hlehel, Hiam Abbass

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“Mit meinem Film kämpfe ich gegen die Besatzung und gegen das, was sie den Menschen antut“, sagt Hany Abu Assad, der Regisseur des viel beachteten Wettbewerbsbeitrags „Paradise now“. Was gibt es noch zu sagen über den Nahostkonflikt, womit kann sich ein Film jenseits der gängigen Klischees noch beschäftigen? Ich nicht längst alles gesagt, und sogar mehr als das? Abu Assad nimmt sich einem der umstrittensten Themen des Palästinakonflikts an, zu dem die Kunst in der Regel schweigt – wo sie es nicht tut, muss sie mit Skandalisierung oder dem Vorwurf der Naivität rechnen.

Als der schwedisch-israelische Künstler Dror Feiler in Stockholm Anfang 2004 ein Kunstwerk ausstellte, dass sich mit dem Thema beschäftigte, kam es zum Skandal. Unter dem Titel „Schneewittchen“ schwamm dort das Foto einer palästinensischen Selbstmordattentäterin auf einem Teich aus Blut; ein Begleittext enthielt Einzelheiten über die Biographie der Attentäterin. Das Werk zeigt mit den Mitteln der Groteske das Groteske der Tat. Aber nicht jeder Betrachter sah das Werk als Versuch, sich dem Phänomen der Attentäter anzunähern: Der israelische Botschafter war über das Gezeigte so erregt, dass er das Kunstwerk eigenhändig zerstörte. Ministerpräsident Sharon gratulierte ihm danach zu einem „mutigen Schritt gegen den Antisemitismus“.

Wer sich zum Thema äußert, begibt sich unvermeidbar auf vermintes Gelände. Hany Abu-Assad hat es trotzdem geschafft, einen relevanten Film über „Selbstmordattentate“ zu drehen – allein diese Feststellung macht den Film zu Recht nicht nur zu einem der politisch bemerkenswertesten, sondern wohl zu einem der wertvollsten Beiträge der diesjährigen Berlinale insgesamt. Er nähert sich dem umstrittenen Thema „Selbstmordattentate“ als menschlichem Phänomen und verweigert sich den gängigen Interpretationsmustern.

In der Regel gibt es zwei platte Erklärungen: Die eine – besonders in Israel populäre – Erklärung zeichnet die Attentäter als radikal indoktrinierte Mordmaschinen, deren religiöse Verblendung sie an den Eintritt ins Paradies nach vollbrachter Tat glauben lässt. Dieses Erklärungsmuster lässt keinen Platz für politische Motive, persönliche Verbitterung und das Gefühl der Demütigung. Die andere Erklärung, populär auch auf deutschen „Pro-Palästina-Demonstrationen“, macht es sich nicht weniger einfach: Allein die Besatzung sei schuld, die Grausamkeit der Israelis, die grenzenlose Verzweiflung und Armut der Palästinenser. Aber wer arm und verzweifelt ist, sprengt deswegen noch lange nicht unschuldige Menschen in die Luft.

Die ganze Diskussion um Selbstmordattentate ist ungeheuer politisch aufgeladen und wird auch meist sehr polemisch geführt. Abu-Assads völlig unpolemischer Film macht sich dagegen frei von einfachen Urteilen und pauschalen Argumenten. Er betrachtet im wesentlichen zwei Menschen, die sich zu einem Anschlag entschlossen haben und zeigt Kohärenz und Brüche in ihrer Haltung, in ihrer Biographie, in ihren Motiven und Überzeugungen. Dabei kommt es manchmal zu anrührenden, manchmal skurrilen Szenen, die dem Film nichts von seiner Glaubwürdigkeit nehmen. Den größten Wahnsinn fand Abu-Assad bei seinen Recherchen in der Realität; im Interview mit der „ZEIT“ erzählt er:

„Eine wirklich unglaubliche Geschichte handelt von einem Selbstmordattentäter, der zum Einsatz in Tel Aviv gefahren wird. Plötzlich steigt eine Frau zu ihm ins Auto. Es stellt sich heraus, dass sie ebenfalls einen Sprengstoffgürtel trägt. Daraufhin weigert er sich, den Auftrag mit ihr gemeinsam auszuführen, denn er ist davon überzeugt, dass das Töten Männersache ist, während die Frauen Leben schenken sollen. Beide werden furchtbar wütend und brüllen sich im Auto an. Sie beschimpft ihn als Frauenfeind, als Reaktionär, und sie besteht darauf, dass eine Frau das gleiche Recht hat, in den Tod zu gehen, wie der Mann. Das muss man sich mal vorstellen: Zwei Selbstmordattentäter in einem Riesenkrach über die Moderne, den Feminismus, die Geschlechterpolitik.“

Es sind solche krassen Brüche, die auch die Charaktere in Abu-Assads Film kennzeichnen. Sie sind weder gefühlskalte Monster noch religiös Fanatisierte, die vom sofortigen Eintritt in Paradies überzeugt sind. Es sind widersprüchliche Charaktere, deren Biographien stark von der Besatzung geprägt sind – was heute ohne Zweifel auf jeden jungen Palästinenser in der Westbank und besonders in Gaza zutrifft. Dabei macht es sich der Film nie so einfach, Selbstmordanschläge allein mit der schwierigen Lage der Palästinenser zu erklären. Aber er zeigt, dass das Gefühl der andauernden Erniedrigung, der Perspektivlosigkeit und des hergebrachten Hasses gegen „die Besatzer“ unabdingbare Grundvoraussetzungen sind. Die islamistischen Drahtzieher der Anschläge zeichnet Abu-Assad als Menschen, die hinter ihren Propagandaformeln kein menschliches Empfinden mehr bewahrt haben.

3181_0001_Thumb2.jpg Regisseur Hany Abu-Assad

Abu-Assad sagt von sich selbst, er sei „Pazifist“. Auch lässt der Film keinerlei Zweifel an der Tatsache, dass die Attentate moralisch falsch sind. Aber er nimmt die Motive der Attentäter ernst und versetzt sich in ihre Perspektive. Besonders das Ende von Abu-Assads Film ist dementsprechend wenig hoffnungsvoll. Es wäre einfacher gewesen, einen Film zu drehen, in dem alle Charaktere letztlich „bekehrt“ werden und zum gewaltlosen Widerstand übergehen. Dann wäre es ein Film geworden, der Hoffnung macht. Und ein Film, der sich der gegenwärtigen Realität verweigert.

Es wird auch bei diesem Film Stimmen geben, die Abu-Assad „Verständnis“ für die Selbstmordattentäter vorwerfen werden. Sollte er in Israel gezeigt werden, wird es lautstarke Proteste geben. Vielleicht wird wieder jemand versuchen, die Aufführung zu verhindern. Für Abu-Assad wäre das ein Erfolg: „Es wäre unglaublich, wenn die Isrealis einen Film sehen könnten, der Selbstmordattentäter als Menschen und nicht einfach als Monster porträtiert. Ich will Paradise Now aber auch in Nablus zeigen, wo wir viele Szenen gedreht haben. Leider gibt es dort kein Kino mehr...“

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